Mittwoch, 18. August 2010
Milchkaffee und Hauptstadthass
Bei diesem Wetter kann man nur von Wärme träumen und in alten Urlaubserinnerungen stöbern. Wie wäre es hiermit:

Da wir eh Brot und Kaffeebohnen für das Frühstück hätten holen müssen, es schon etwas später war und uns der letzte Abend noch im Kopf umherkreiste, konnten wir auch gleich frühstücken gehen. Wir fuhren die einsame Landstraße vom Haus in Richtung des nächsten kleinen Ortes. Der Wind war angenehm warm und der Geruch der Landschaft war umwerfend. Korsika hat immer einen sehr eigenen Geruch, würzig, herb, unverkennbar die macchia. Jerry fuhr den alten Citroen entspannt, aber zügig durch die Kurven. Er brauchte jetzt dringend einen Kaffee. Ohne Kaffeedosis war er morgens nicht kommunikationsfähig, Auto fahren ging gerade noch so. Ich schloss wieder die Augen und genoss die Fahrt. Die Grateful Dead dröhnten „Me and my uncle“ aus den Boxen. Wir erreichten die Ausläufer der Ortschaft, eigentlich nur je eine Häuserreihe parallel zur Durchgangsstraße, aber irgendwie hatte es etwas heimeliges, von Schönheit konnte man allerdings nicht sprechen. Jerry stellte den Wagen direkt vor dem Bistro ab und wir ließen uns in die Korbstühle an einem der kleinen runden Tische fallen. Die Durchgangsstraße war zwar außerhalb des Ortes immer wieder mal verbreitert worden, aber im Ort blieb aus Platzmangel alles beim Alten. Der Verkehrsfluss wurde so gestoppt und man konnte in Ruhe die vorbeifahrenden Wagen samt Insassen beobachten. In der Hochsaison spielten sich hier Dramen ab, aber das schien nur die Touristen in den Autos zu stören. Vor unserem Tisch war eine etwas größere Parklücke und so konnten wir die Bar Tabak gegenüber gut einsehen, in der, eine der Dorfschönheiten heute wohl die Frühschicht hatte. Jerry lächelte, auch ohne Kaffee.
Der junge Kellner kam und wir fragten ihn, ob wir frühstücken könnten?
Er bot uns Croissants an. Perfekt, zwei Croissants und einen großen Milchkaffee für jeden. Wir lehnten uns zurück und beobachteten den Gemüsehändler ein Stück die Straße rauf, wie er sich an seinen Auslagen zu schaffen machte.
Die Dorfschönheit von gegenüber schob den Ständer mit den Strandsachen auf den Bürgersteig, ein untrügliches Zeichen für baldigen Touristeneinfall.
Im Augenwinkel sah ich unseren Kellner über die Straße sprinten und hinter der nächsten Ecke verschwinden. Die große Kaffeemaschine machte im Innern des Bistro einen Höllenlärm und bevor ich mich fragen konnte, was da denn wohl schief gegangen war, kam unser sportiver Kellner schon wieder zurück gerannt. Er hatte eine Tüte mit unserem Frühstück beim Bäcker um die Ecke geholt. Na, so hatten wir uns das eigentlich nicht gedacht, das hätten wir ihm abnehmen können. Als er uns die frischen Croissants und den herrlichen Milchkaffee brachte, wischte er unsere Entschuldigung für die Mühe, die wir ihm gemacht hatten mit einer lässigen Handbewegung vom Tisch: C´est normal, he!
Unser Frühstück hatte noch nicht begonnen, als ein großer dunkler Wagen vor uns auf der Straße hielt. Dahinter entbrannte ein heftiges Hupkonzert, da der Gegenverkehr kein Überholen zuließ. Die Beifahrertüre öffnete sich und eine Frau mittleren Alters entstieg dem Wagen. Das Hupkonzert erstarb augenblicklich, ich vermute es lag an ihrem Outfit. Sie trug ein ärmelloses Oberteil und einen Rock, dessen Farben nie und zu keiner Zeit und Modewelle zusammengepasst hatten. Dazu weiße Lackledersandalen mit einem Strauß von Glitzersteinchen vorne drauf. Eine Erscheinung. Jerry klappte die Kinnlade runter. Das bisschen Energie seines ersten Schluckes Kaffee verpuffte augenblicklich bei diesem Anblick und er schien sich zu fragen, ob er bei dem Mescal gestern Abend nicht doch das Glas mit dem Wurm erwischt hatte.
Wie ich bemerkte, waren wir nicht die einzigen dankbaren Zuschauer des sich anbahnenden Spektakels. Die Aufmerksamkeit des Örtchens hatte sich offenbar auf die Straße konzentriert, das Leben ruhte.
Die Erscheinung schritt energischen Schrittes an das Ende des Wagens und begann gleichzeitig mit der Hand zu wedeln, als wolle Sie Fliegen von einer imaginären Käseplatte verscheuchen. Ein grunzendes Geräusch neben mir ließ mich meinen Blick von der Straße abwenden. Jerry hatte sich bei glucksendem Lachen verschluckt und Kaffee lief ihm aus der Nase: „Scheiße“, grinste er, „Der will einparken“.
Mein Blick ging wieder auf die Bühne zurück. Und tatsächlich, die Erscheinung versuchte die mittlerweile wieder hupenden Autos von der Straße zu wedeln. Der junge Kellner kam vorbei, legte Jerry wortlos ein paar Servietten auf den Tisch und bemerkte mit einem Blick auf das Geschehen: „Blinken hilft!“
Nachdem der Wagen endlich seinen Weg in die eigentlich für zwei reichende Parklücke gefunden hatte, waren alle Zuschauer gespannt auf das Pendant der Erscheinung. Enttäuschung machte sich breit, als die Fahrertüre sich öffnete und Monsieur dem Fahrzeug entstieg. Der Ort begann wieder zu leben.
Monsieur war in altherren-einheitsbeige Kurzarmhemd mit passender Hose gewandet und schob ein respektables Bäuchlein vor sich her. Auf der Rücksitzbank begann ein weißes Püdelchen verrückt zu spielen und seinen Freigang einzuklagen. Das passte aber wohl nicht ins Konzept der Erscheinung. Das kläffende weiße Fellknäuel blieb, für uns stumm, im Auto.
Nach dieser Aufregung widmeten Jerry und ich uns dem Frühstück und der weiteren Tagesplanung.
„Ey,garcon!“ dröhnte eine tiefe Stimme vom Nebentisch. So hatte ich hier noch nie jemanden rufen hören und ich bekam gerade noch mit, wie der Kellner, der in der Türe stand und sich offenbar so nicht herbeizitieren lassen wollte, in den Tiefen des Bistros zur Erledigung ganz wichtiger Arbeiten verschwand. Das Paar hatte sich neben uns niedergelassen. Es dauerte eine Zeit bis die wichtigen Arbeiten beendet waren und der Nachbartisch bedient werden konnte. Beide wollten Frühstück, der Kellner verneinte, Frühstück gäbe es nicht. Monsieur drehte sich in unsere Richtung und deutete auf den mit Croissants gefüllte Korb auf unserem Tisch. Der Kellner zuckte die Achseln, „Familie“ nuschelte er in seinem schlechtesten korsischen Slang und ich hatte echt Probleme ihn zu verstehen. Monsieur starrte uns ungläubig an, wie Korsen sahen wir nun wirklich nicht aus.
Kaffee könnten sie haben, sonst wäre alles aus, teilte er ihnen mit. Wutschnaubend standen beide auf und verließen unter lautem Gezeter die Bühne. Als sie die Türen des Wagens öffneten wurden sie von dem ebenfalls wütend klingenden, schon hysterischen Gebell des Hundes übertönt. Mit fragendem Blick sah ich unseren Kellner an. Er deutet auf das Kennzeichen des Wagens, 75, das Zeichen für die Hauptstadt Paris. Dann macht er eine eindeutige Geste und fragte lächelnd, ob er uns noch etwas bringen könne. Wir verneinten und lehnten uns zurück. In der Bar Tabak gegenüber beschäftigte sich die Dorfschönheit mangels Kunden mit der Pflege ihrer Fingernägel. Das Leben ist schön!

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